wood-chips-1722422.jpg

© alusruvi/Pixabay

europa

Bioenergie in den Zeiten der Krise

Ein Artikel von Raffaele Spinelli, Benno Eberhard, Matteo Monni, Routa Johanna, Robert Prinz, Janusz Golaszewski | 04.07.2023 - 09:36

Innerhalb weniger Monate stiegen die Gas- und Kraftstoffpreise auf nie dagewesene Höhen, gefährdeten viele Unternehmen und verursachten allgemeines Unbehagen. Der Handelspreis für Erdgas kletterte von dem über ein gesamtes Jahrzehnt stabilen Preis von 40 €/MWh auf 130 €/MWh. Dieselkraftstoff wurde an der Zapfsäule für 2,2 €/l verkauft, statt für die ursprünglichen 1,5 €/l. Energieintensive Industrien waren am stärksten betroffen und viele mussten den Betrieb einstellen. 
Auch wenn die Preise mittlerweile langsam wieder auf Vorkrisenniveau zurückkehren, ist der Schock für die europäische Wirtschaft nach wie vor spürbar. Diese jüngste Krise hat die Rolle der Bioökonomie bei der Schaffung von Energieunabhängigkeit und der Abmilderung zukünftiger Schockwirkungen durch ähnliche Ereignisse deutlich gemacht.
Diese Krise bot nämlich die Rahmenbedingungen, in denen die finanziellen und strategischen Vorteile einer lokal generierten Bioenergie deutlich sichtbar wurden. Ende 2022 führten LUKE, CNR, ITABIA und die Universität von Warmia und Mazury diesbezüglich eine Umfrage unter Bioenergieunternehmen durch. Insgesamt wurden 16 Unternehmen befragt, die aufgrund ihrer vorbildlichen Praktiken hinsichtlich der Bioökonomie aus den auf der Website des europäischen Forschungsprojekts BRANCHES (www.branchesproject.eu) präsentierten Unternehmen ausgewählt wurden. Diese 16 Unternehmen repräsentierten Finnland, Italien und Polen und deckten die Sektoren Holzenergie, Energie aus Stroh, Biogas sowie andere Wertschöpfungsketten außerhalb des Energiesektors ab. Die Umfrage führte zu folgenden Ergebnissen:

Geringere Preisanstiege
Die Nutzer von Bioenergie sahen sich mit einem viel geringeren Anstieg der Energiekosten konfrontiert als die Nutzer konventioneller Energie (Öl oder Erdgas). In Polen etwa konnten EinwohnerInnen, die an ein Biomasseheiznetz angeschlossen waren, ihre Häuser zu einem Preis beheizen, der weniger als die Hälfte desjenigen von Nutzern konventioneller Energieträger betrug.
In Italien wurden lokal produzierte Pellets zu einem um 40% geringeren Preis verkauft als importierte Pellets. Letztere kosteten 12 € pro Sack (15 kg), was dem Dreifachen der Kosten vor der Krise entsprach. Tatsächlich verschwanden die Pelletssäcke fast aus den Regalen der italienischen Händler und die Versorgung musste rationiert werden – außer dort, wo eine lokale Produktion aufgebaut worden war.

Fixe Einspeistarife
Trotz eines Anstiegs der Produktionskosten um mehr als das Doppelte konnten Bioenergielieferanten die finanzielle Nachhaltigkeit ihrer Betriebe dramatisch steigern, da das Wachstum des Energieumsatzes viel höher war als der Anstieg der zur Herstellung benötigten Brennstoff- und Materialkosten. Dies galt insbesondere für den Wärmeabsatz, der nicht wie der Stromabsatz an feste Vergütungen für die Einspeisung in das nationale Stromnetz gebunden war.
Italienische Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung beispielsweise waren mit der Tatsache konfrontiert, dass sich ihre internen Stromverbrauchskosten vervierfachten, während sie andererseits aufgrund der fixen Einspeisetarife nicht in der Lage waren, die Einnahmen aus der Stromerzeugung zu steigern. Dennoch ermöglichte die kluge Nutzung der Restwärme eine so große Steigerung der Erlöse aus dem Wärmeverkauf, dass sich die Gewinne schließlich verdreifachten. Auch polnische Biogasanlagen konnten ihre Einnahmen verdoppeln.

Nutzung lokaler Ressourcen
Bioenergieanlagen mussten aufgrund des plötzlichen Versiegens aller Holzimporte den Anteil an lokal bezogenem Holz ausbauen. Dies hatte starke positive Auswirkungen auf die lokale ländliche Wirtschaft, die bis kurze Zeit vor der Krise durch die geltenden Weltmarktpreise beinahe erstickt worden war.
Die Preise für Energieholz stiegen um mindestens 20%, was für Waldbesitzer und Holzlieferanten eine ausreichende Motivation darstellte, die Hindernisse zu überwinden, die zuvor die Holznutzung eingeschränkt und den Zugang zu einer ansonsten reichlich vorhandenen lokalen Ressource blockiert hatten.

Steigende Beschäftigungsquoten
In Finnland stieg der Verkauf einer bestimmten Energieholzerntemaschine um 20%. In Italien stellten örtliche Forstunternehmen zusätzliches Personal ein, erhöhten ihr Personal insgesamt um über 25% und trugen deutlich zu den Beschäftigungsquoten in wirtschaftlich benachteiligten ruralen Gebieten bei.

Unabhängigkeit vom Strompreis
Durch die autarke Energieversorgung konnten je nach Grad der Energieabhängigkeit die erhöhten Kosten durch den Strombezug um 25 bis 100% kompensiert werden. Eine Investition in eine ergänzende Photovoltaikanlage etwa half dabei, den Eigenstromverbrauch zu senken, insbesondere dort, wo kein Strom aus Biomasse erzeugt wurde oder wo der gesamte erzeugte Strom zu einem fixen Tarif ins Netz eingespeist wird.

Expansionspläne
Alle Befragten gaben an, für ihre Unternehmen bereits Pläne für eine sofortige Expansion entwickelt zu haben. Viele italienische Unternehmer entschieden sich, ihre Pelletieranlagen zu erweitern beziehungsweise neue Anlagen zu installieren. Polnische Unternehmen gaben an, ihre Stromerzeugungskapazität zu verdoppeln. In Finnland wurde die Produktion von Energieholz-Erntemaschinen ausgebaut und die Verwendung von heimischem Holz für die Errichtung ökologischer Gebäude forciert.

Unabhängig von Importen bleiben
Als wichtigsten Erfolgsfaktor für ihre Tätigkeit identifizierten alle Befragten die selbstständige Kontrolle über die Kraftstoffversorgung, wie dies auf Basis von lokal verfügbaren Ressourcen wie lokalen Wäldern, landwirtschaftlichen Nutzpflanzen oder tierischen Abfällen möglich ist.
In diesem Zusammenhang ist der dramatische Preisanstieg (+300%) von importierten Pellets besonders lehrreich: Holzbasierte Brennstoffe sind aufgrund ihrer geringeren Energiedichte und ihrer dezentralen Verfügbarkeit im Vergleich zu fossilen Brennstoffen viel schwieriger zu beschaffen und zu transportieren. Sobald eine dominierende Importquelle ausfällt, ist es sehr schwierig, Ersatz zu finden. Daher sollten holzbasierte Bioenergieketten lokal bleiben: Wenn sie durch Importe gespeist werden, sind sie so anfällig wie fossile Brennstoffketten.

Nachhaltigkeit sicherstellen
Gleichzeitig stellte ein Bündel an Maßnahmen sicher, dass es zu keinem Missbrauch im Sinne einer Übernutzung der Wälder oder einer wahllosen Plünderung natürlicher Ressourcen kam. Dazu zählten insbesondere strenge Vorschriften, durchgeführte Kontrollen, eine professionelle Gesinnung der Akteure und auf Nachhaltigkeit beruhende Bewirtschaftungspraktiken. Die Notlage führte nicht zur Aussetzung bewährter Kontrollsysteme, sondern bot vielmehr die finanziellen Rahmenbedingungen für eine Umsetzung sinnvoller forstlicher Maßnahmen – etwa einer Intensivierung der Durchforstungstätigkeit oder der Durchführung von im Zuge der Borkenkäferproblematik notwendigen Maßnahmen zur Waldhygiene.

Link zum BRANCHES-Projekt

 

Die durch die Umfrage repräsentierten Praktiken decken ein breites Spektrum von Wertschöpfungsketten der Bioökonomie ab. Dennoch, die Interviews sind fallspezifisch. Eine Verallgemeinerung der Ergebnisse ist deshalb nur unter Vorbehalten möglich.