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Forschung

Nur die Besten

Ein Artikel von Sophie Ette | 01.06.2021 - 10:20
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Rudolf Lebenits unterstützt das Plusbaum-Projekt seit seinem Beginn 2019.

Rudolf Lebenits, Jahrgang 1964, stammt aus dem Burgenland. Vor seiner Reviertätigkeit hat er in der österreichischen Entwicklungshilfe in Nicaragua und beim Umweltbundesamt gearbeitet. Während seiner Reviertätigkeit hatte er zahlreiche berufliche Kontakte zu kroatischen, ungarischen und slowenischen Forstkollegen. Seit 2019 unterstützt er das Bundesforschungszen­trum für Wald (BFW) im Plusbaum-Projekt.

Herr Lebenits, Sie sind gerade in ganz Österreich im Wald unterwegs. In welchen Gebieten arbeiten Sie gerade und was ist Ihre Mission? 
Ich komme gerade aus dem Gurktal, davor war ich im Inn- und Mühlviertel. Meine Aufgabe ist es, die jeweils besten Bäume in besonders wertvollen Saatguterntebeständen in Österreich zu finden. Dafür musste ich zunächst einmal geeignete Saatguterntebestände vorauswählen. Entscheidend für die Auswahl der Bestände waren zunächst die Flächengröße, Qualität, Eignung sowie die Zustimmung der Eigentümer. Wenn dann alle Rahmenbedingungen stimmen, werden diese ausgewählten Saatguterntebestände angefahren und vor Ort gemeinsam besichtigt.

Wieso ist es notwendig, Saatguternte­bestände zuerst auszuwählen?
Es gibt ja eine sehr große Anzahl zugelassener Saatguterntebestände. Manche sind seit der Zulassung ausgefallen, sind etwa wipfeldürr oder wurden teilweise geschlägert. Andere haben keine ausreichende Flächengröße oder eine zu geringe Beerntungsintensität. Manchmal können Saatguterntebestände qualitativ zwar sehr gut sein, aber wenn das Gelände die Ernte erschwert oder ein zu starker Unterwuchs vorhanden ist, können wir sie trotzdem nicht verwenden. Die ausgewählten Saatguterntebestände bekommen dann, wenn schlussendlich alles den Projekt-Vorgaben entspricht, eine „Auszeichnung“ als Plusbaum-Bestand.

Wie ändert sich dadurch die rechtliche Zulassung?
Die Zulassung als Saatguterntebestand durch das Bundesamt für Wald ändert sich prinzipiell nicht. Es gibt keine zusätzlichen wirtschaftlichen Einschränkungen und auch formal bleibt alles gleich – nur, dass die besten Bäume in diesen Beständen registriert und dauerhaft markiert werden. In Zukunft können diese dann gezielt beerntet werden, um eben eine qualitative Aufwertung des resultierenden Pflanzgutes zu erzielen. 

Was ist das Ziel des Forschungsprojekts?
Durch das Plusbaum-Projekt können wir langfristig besonders hochqualitatives Saatgut aller Hauptbaumarten für die österreichische Forstwirtschaft in den verschiedenen Wuchsgebieten gewinnen. Es ist sowohl ein Forschungsprojekt als auch ein Projekt für die PraktikerInnen. Die Forstpraxis bekommt durch die Einzelbaumwahl nur das beste Material. In weiterer Folge sollen diese besonders guten Bäume langfristig stehen bleiben und deren Bedränger bewusst entnommen werden. Damit steigern sich die Qualität des Bestandes und dessen Beerntbarkeit noch einmal.

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Plusbaum Nr. 400, eine Stieleiche, entspricht dem Idealtyp und wurde für das Plusbaum-Projekt ausgewählt.

Wie beginnt man ein so großes Projekt?
Man muss zuerst die Projektziele sozusagen verinnerlichen und dann die Aufgaben konkretisieren. Wir haben dann pro Hauptbaumart, basierend auf der verfügbaren Literatur und der am BFW vorhandenen Expertise, Baummerkmale für die Qualitätsbewertung definiert, die für uns von Bedeutung sind. Daraus haben wir einen Merkmalskatalog aufgestellt, der im Gelände weiterentwickelt und getestet wurde. Auch Planung und Auswertungen sind wichtig. Unser Projekt wird gefördert von Bund, den Ländern und der Europä­ischen Union, dadurch gibt es vielfältige Berichts- und Dokumentationspflichten.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Zurzeit, nachdem diese Büroarbeiten alle erledigt sind, werden die Bestände nacheinander angefahren. Im vergangenen Jahr war vor allem das Laubholz im Programm und dieses Jahr ist das Nadelholz dran.

Was begeistert Sie an der Grundlagenforschung im Wald und was möchten Sie durch Ihre Arbeit bewirken?
Die Grundlagenforschung im Wald ist wichtiger denn je, weil sich die Ansprüche an den Wald und die Weise, wie wir mit dem Wald umgehen, verändern. Hierfür brauchen wir immer neues Zahlenmaterial, um Entscheidungen treffen zu können. Grundlagenforschung ist ein kreativer Prozess. Wenn die Feldarbeit abgeschlossen ist, die Daten erhoben wurden und man weiß, in welche Richtung die Ergebnisse gehen, dann kommt natürlich die Idee: „Eigentlich müssten wir unsere Behandlungsweise oder Sicht der Dinge ändern und neu bedenken“. Somit wird der kreative Prozess dann normativ, das fasziniert mich daran.

Sie waren vor dem Plusbaum-Projekt lange in der Forstpraxis tätig. Wie unterscheidet sich die tägliche wissenschaftliche Arbeit im Wald von der aktiven Waldbewirtschaftung im Betrieb?
Ich war vor meiner jetzigen Arbeit viele Jahrzehnte im Revierdienst. Den Unterschied kann ich mit einem Beispiel illustrieren: In einem Durchforstungsbestand, in dem alle Bäume hochqualitativ sind, gibt es keinen Unterschied zwischen einem Forstpraktiker und der wissenschaftlichen Tätigkeit bei der Baumauswahl. Sinkt dann jedoch die Anzahl an qualitativen Bäumen, kommt es zu einem Unterschied, weil der Forstpraktiker sich fragen muss: „Was bleibt mir nach der Durchforstung finanziell übrig? Kann ich da noch weitermachen oder ist es am besten, gleich alles umzutreiben und den Bestand neu zu begründen?“ 
Forschungsprojekte ermöglichen, auch die seltenen Ereignisse, in dem Beispiel hochqualitative Bäume, als Ressource zu erkennen und langfristig für die Gesellschaft und die Wirtschaft nutzbar zu machen.  Diese genetischen Informationen werden somit langfristig bewahrt, wenn Saatgut von diesen einzelnen, hochqualitativen Bäumen in die Praxis weitergegeben wird. Die Denkweise in einem Forschungsprojekt kann sich also zum Beispiel hinsichtlich der Zeit- und Raumskala deutlich unterscheiden.

Wie könnten die Ergebnisse Ihres Projekts der Forstpraxis helfen? 
Die Forstpraxis braucht auf jeden Fall hochqualitative Bäume: geradschaftige, gesunde Bäume, ohne Drehwuchs und andere Mängel. Wenn die ForstpraktikerInnen dann Vermehrungsgut bekommen, bei dem weniger Pflegeeingriffe gemacht werden müssen, die Bestände weniger anfällig gegen Schadfaktoren sind, dann ist das ein ganz großer Gewinn. 

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Die ausgewählten Bäume werden fotografisch dokumentiert und in einer Datenbank erfasst – wie hier Plusbaum Nr. 1169, eine Fichte.

Im Vorfeld des Interviews haben Sie uns verraten, dass das Plusbaum-Projekt bereits vor einem Jahr begonnen hat. Gibt es bereits erste Ergebnisse? Welche Waldbestände haben Sie aufgrund der hohen, züchterischen Qualität persönlich am stärksten beeindruckt?
Voriges Jahr haben wir mit den Eichen begonnen. Ich kann mich noch an den ersten Tag erinnern, es war sehr kalt am 31. März, ein Roteichenbestand im Mittelburgenland. Die Wüchsigkeit hat mich erstaunt, weil die Roteichen den Robinien davongewachsen sind. Wir haben zunächst einmal die Rot-, Stiel- und Traubeneichen begutachtet. Später, nach dem Laubaustrieb, ist dann genau diese Auswahl fotografisch dokumentiert worden, damit man sie zu unserer Datenbank hinzufügen kann. Damals hatte ich bei meinem zweiten Besuch ein wenig Sorge, dass die von mir ausgewählten Bäume nachträglich vielleicht noch Wasserreiser gebildet hätten, aber die Plusbäume haben das nicht gemacht. Da habe ich dann gewusst, ich bin auf dem richtigen Weg. 
Einige andere Bestände haben mir wirklich gut gefallen. Was mich aber am meisten beeindruckt, sogar ein bisschen geärgert hat, ist, dass es in der Nähe meines Wohnortes einen der besten Stieleichenbestände in ganz Österreich gibt. Das habe ich nach 23 Jahren, in denen ich ganz in der Nähe gewohnt habe, nicht gewusst. Es ist mir vorher gar nicht aufgefallen, was es dort für wertvolles Saatgut gibt!

Worin bestehen die aktuellen Herausforderungen in diesem Projekt? 
Alle diese Coronamaßnahmen sind ­natürlich eine große Herausforderung. Voriges Jahr konnte ich nicht in alle jene Bezirke fahren, die rot waren. Das war dann manchmal ein Wettlauf gegen die Zeit. In Nordtirol gibt es interessante Traubeneichenbestände, aber leider konnten wir nur einen Teil davon aufnehmen. Ein weiterer Stieleichenbestand in Nordtirol war zwar ein wirklich ein Superbestand, nur stockt er auf einem abschüssigen Hang und die Beerntung der Einzelbäume ist kaum möglich, daher konnten wir den dann letztendlich nicht aufnehmen. 
Dieses Jahr ist natürlich auch in manchen Bezirken die Ausreisetestpflicht eingeführt worden, aber bisher konnten wir das alles gut organisieren und es ist gut gelaufen, trotz allem. Ich möchte mich an der Stelle bei den EigentümerInnen und EigentümervertreterInnen bedanken für die gute Zusammenarbeit, den regen Meinungsaustausch und auch das Vertrauen, das gibt natürlich Kraft. Dankeschön!

Hochqualitatives, forstliches Vermehrungsgut kann ein Schlüssel zur Anpassung an den Klimawandel im Wald sein. Was ist Ihre Vision für die Forstwirtschaft in Österreich?
Ich glaube, dass wir noch immer sehr wertvolle Bestände in Österreich haben, die noch nicht entdeckt sind. Diese sind nicht nur von der Qualität und dem Zuwachs her, sondern auch insgesamt für die Stabilität der Wälder, sehr wertvoll. Ich hoffe, dass das Bewusstsein geschärft wird und diese Bestände wieder stärker in den Fokus treten, dass wir bewusster mit unseren heimischen Ressourcen umgehen. Außerdem ist meine Vision, dass wir vermehrt angepasstes Saatgut verwenden. Qualitative, angepasste Bäume haben die Chance, unsere Wälder alt werden zu lassen, sehr alt sogar. Für mich ist jeder dieser Bäume einzigartig. 
Brennholz, schlechte Qualität und Massenware haben einen kürzeren Umtrieb. Je länger das Lebensalter eines Baumes ist, umso mehr Lebewesen und Organismen können auf ihm und mit ihm leben. Solche Bäume, oder Bestände können auch wichtige Landschaftselemente sein, das werden nach und nach dann ganz besondere Wälder und Waldorte.

Weniger Pflegeaufwand und eine geringere Anfälligkeit gegen Schadfaktoren sind ein großer Gewinn.


Rudolf Lebenits über das Plusbaum-Projekt

Wie würde Ihr persönlicher Appell an die forstliche Praxis zum Management von Saatguterntebeständen und forstlichem Vermehrungsgut lauten?
Die Leute sollen sich wirklich um ihre Saatgutbestände kümmern, weil das ganz wertvolle Bestände sind. Das gilt sowohl für den einzelnen Betrieb als auch für die ganze Forstwirtschaft. Natürlich gilt das Gleiche auch für Vermehrungsgut: Wer hier billig kauft, kauft teuer ein. Aus eigener Erfahrung kenne ich Aufforstungen, wo der Reihe nach in 1 - 2 m Höhe die Steiläste aus dem Stamm von jungen Eichen im Dickungsalter raussprießen. Natürlich, wenn man so etwas pflanzt, dann hat man schnell ein Qualitäts- und gleichzeitig ein Pflegeproblem.  

Warum lohnt sich die Pflege von Saatgut­erntebeständen für Forstbetriebe?
Für die Forstbetriebe bringt das erstens einmal einen jährlich schwankenden, aber wiederkehrenden Ertrag. In der Urproduktion kann man nie genau sagen, wie das Jahr verläuft. Ein Forstgartenbesitzer in Oberösterreich hat aber erzählt, dass er pro Hektar 3500 kg Eichelsaatgut geerntet hat. Das kann dann schon sehr lukrativ für einen Betrieb sein. Zweitens ist es natürlich auch für den Wald und die BesitzerInnen an sich ein Vorteil, wenn sich die forstliche Qualität erhöht. Zu diesem Zweck gibt es aber auch finanzielle Förderungen, die man für die Beerntung und die Vorbereitung der Saatguterntebestände in Österreich relativ einfach beantragen kann. 

Vielen Dank für das interessante Interview!
Gerne! 

Das Plusbaum-Projekt am Bundesforschungszentrum für Wald wurde 2019 von Univ.-Prof. DDr. Thomas Geburek initiiert. In dem Projekt werden besonders hochqualitative Saatguterntebestände aller Hauptbaumarten ausgewählt. In diesen Beständen werden die jeweils besten Einzelbäume dauerhaft markiert und in eine Datenbank aufgenommen, damit Sie langfristig zum Erwerb von äußerst hochqualitativem Saatgut für die forstliche Praxis zu Verfügung stehen. Das Plusbaum-Projekt, das von Bund, den Ländern und der Europäischen Union im Rahmen der ländlichen Entwicklung gefördert wird, wird nun am Institut für Waldbiodiversität und Naturschutz des BFW unter Dr. Heino Konrad fortgeführt.